Wie ist die letzte Änderung des Atomgesetztes zu bewerten? Welche Gefahren birgt die Laufzeitverlängerung bis zum 15. April? Was sollten wir aus den Erkenntnissen zur Sicherheit der französischen AKWs lernen?
Diese Fragen standen bei der jüngsten „Grünen Dienstagsgesellschaft“ im Hadamarer Rathaus-Café im Mittelpunkt. Redner waren der Frankfurter Physiker Detlef zum Winkel sowie Winfried Jankowski aus Hangenmeiligen, der sich in den 1980er Jahren in der Anti-AKW-Bewegung und im Widerstand gegen eine Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennelemente im Raum Merenberg stark gemacht hatte.
„Wer heute sagt, es käme doch nicht darauf an, ob die letzten drei Kernkraftwerke ein paar Monate länger in
Betrieb bleiben, verkennt das Wesen dieser Angelegenheit“, findet Detlef zum Winkel. Denn bei einer solchen Hochrisikotechnologie käme es auf jede Schraube, jedes Ventil, jede Pumpe und jedes noch so nebensächlich erscheinendes Teil an. Wenn man da schludere, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit eines GAUs.
„Spielt denn das Bestreben nach einer Sicherheitskultur in Deutschland keine Rolle mehr?“, fragte er in den Raum und erklärte, dass die Brennelemente nur eine Lebensdauer von drei Jahren hätten. Deshalb tausche man bei der jährlichen Wartung immer ein Drittel von ihnen aus. Nun, in der Endphase der AKWs, sind natürlich alle Brennstäbe so bestellt worden, dass sie zum 31.12. quasi verbraucht sind.
„Man hat also den Tank bereits leergefahren und hofft, dass im Reservekanister noch was drin ist“, verdeutlichte der Wissenschaftler. Dafür müssten nun die Brennelemente innerhalb des Reaktors umgruppiert werden. Doch dies sei ein Experiment, von dem keine wisse, ob es funktioniert. So habe man in dem stillgelegten AKW Brokdorf beim Herausziehen der verbrauchten Brennelemente festgestellt, dass die metallischen Wände so dünn geworden sind, dass die sich verbogen hatten. Was, wenn das bei ISAR II auch der Fall ist?
Ein Risiko erkennt der Physiker auch beim AKW Neckarwestheim aufgrund des hohen Verschleißes der Röhren im
Dampfdruckerzeuger. Statt das ganze System zu tauschen, seien die defekten Röhren im Anbetracht des nahen Laufzeitendes einfach abgeklemmt worden. „Da wurde schon lange improvisiert und das wird nun verlängert“, monierte der Fachmann.
Zu bedenken gab er auch, dass in Frankreich bei jedem zweiten AKW Mängel festgestellt wurden, und auch belgische Kernkraftwerke verschleißbedingte Sicherheitsprobleme haben. Da sei es doch naheliegend, dass wir mit den gleichen Fakten zu tun haben.
Die große Sorge des Physikers ist, dass die aktuelle Aufweichung des Atomausstiegs die Opposition in Berlin dazu provozieren könnte, einen Weiterlauf der AKWs bis 2026 zu fordern. „Dabei sind doch durch unser aller Widerstand die Würfel gefallen“, wandte er sich an die Anwesenden.
Zu den Widerständlern der frühen Anti-AKW-Bewegung gehört auch Winfried Jankowski aus Hangenmeilingen. Der 83-Jährige erinnerte an 1981 bekanntgewordene Pläne für eine 100 Hektar große Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe im Raum Merenberg. Daraufhin seien überall Bürgerinitiativen aus dem Boden geschossen. Bei einer Versammlung im Bürgerhaus Hangenmeiligen hätte seinerzeit auch der Physiker Lothar Hahn, Enkel des legendären Otto Hahn, gesprochen. In all den Diskussionen und Gesprächen hätten Gesundheitsgefahren, die von den in die Umwelt gelangten radioaktiven Stoffen ausgehen können, eine große Rolle gespielt. „Doch von den Betreibern wurde das Risiko,stets bagatellisiert und in den vom damaligen Landrat herausgegeben Infos verharmlost“, so Jankowski. So habe er sich seinerzeit entschieden, in die Grünen einzutreten, um sich selbst politisch zu engagieren, und wurde bald darauf für seine Partei in den Kreisausschuss entsandt. Heute ist der ehemalige Schulleiter das älteste Mitglied im Ortsverband.
(Kerstin Kaminsky)