Harry in Action (Foto: Kerstin Kaminsky)
Der Ortsverband Hadamar|Dornburg von BÜNDNIS´90/DIE GRÜNEN trauert mit der Stadtgesellschaft um einen wunderbaren Menschen, eigensinnig und klug: Harald Zumpe aus Niederhadamar. Seine Urne wird im engsten Kreis seiner Familie bestattet. Zumpes bürgerschaftliche Initiative vom 17. April 2021 an die neugewählten Stadtverordneten in Hadamar, sich der Sanierung des Denkmals der ehemaligen Synagoge anzunehmen, hat sich die grüne Fraktion im Stadtparlament aktivaufgegriffen und versucht so – leider ungewollt – seinem Vermächtnis in der Stadt gerecht zu werden. Wir alle hätten ihn noch länger als Gefährten gebraucht.
Am 25. November 2021 verstarb Harald Zumpe völlig unerwartet im Alter von 77 Jahren in Niederhadamar. Er war nicht nur körperlich fit und nahm noch vor Beginn der Pandemie an öffentlichen Laufwettbewerben teil, sondern engagierte sich geschichtspolitisch deutlich und als bekannter Lokalpatriot für die Stadt Hadamar.
Geboren in Wolkersdorf Böhmisch Leipa (heute Domazlice in der Tschechischen Republik) wurde er von dort mit seiner Familie nach dem Ende des Weltkrieges vertrieben. Die Eltern suchten auf getrennten Wegen nach einem neuen Lebensort und mussten sich eine neue Existenz erarbeiten. Dies gelang seinem Vater dann in Hadamar. Die Mutter kam aus Berlin dazu. Neun Jahre war der Junge alt, als er 1953 nach einem längeren Schutzaufenthalt für Nachkriegskinder in Belgien in Hadamar zu seiner Familie stieß und besser Französisch als deutsch sprach. Trotz des beginnenden Wirtschaftsaufschwungs war es eine sehr schwere Zeit. Die aus dem Sudetenland geflüchteten und zugewanderten Menschen waren selten gut gelitten. Die böhmischen Zuwanderer ersetzten zum großen Teil mit ihrem Geschäftssinn und dem Aufbau einer bis Ende der 1980er Jahre erfolgreichen Glasindustrie die Vorkriegsaktivität der jüdischen Geschäftsleute, die mit dem Ende der 1930er aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen, vertrieben und zum Teil ermordet worden waren. Nur ein Drittel von ihnen konnte auswandern oder den nationalsozialistischen Terror anders entkommen. Harald Zumpe hatte sich diese historische Erkenntnis zu Eigen gemacht und erläuterte diesen Zusammenhang in seiner Tätigkeit als Stadtführer am Beispiel der Hadamarer Kauffrau Hedwig Siebert, die sowohl ihre jüdischen Mitmenschen in der Nazi-Zeit verteidigt hat, wie sie den „Flüchtlingen“ aus Böhmen wirtschaftlich half, immer wieder. Doch wie kam ein Mann wie Zumpe dazu, sich so intensiv für die Erinnerung an das verlorene jüdische Hadamar zu engagieren? Wer ihn kennenlernte, dem wurde schnell klar, dass da ein „Bulle mit großem Herz“ vor einem stand. Wenn nötig, nutzte er seinen Titel „Erster Kriminalkommissar i.R.“. Harald Zumpe war Polizist von der Pike auf, arbeitete lange Zeit als Schutzpolizist in Köln und gelangte dann zur „Sicherungsgruppe Bonn“, der Polizeieinheit, die in der alten Bundesrepublik die wichtigsten Menschen im Staat schützen musste. So wurde Harald Zumpe am 23. November 1977 als Personenschützer des damaligen Bundeskanzlers Helmuth Schmidt bei dessen Besuch im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau eingesetzt. Als dieser „Bulle“ dabei die Fassung verlor, hielt das polnische Fernsehen schonungslos die Kamera auf seine Tränen und verbreitete diese Bilder weltweit. Es war kalter Krieg. Seitdem hat Harald Zumpe die Erinnerung an den Verlust unserer jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger nicht mehr los gelassen. Zugleich hat er sich immer mit Stolz auf seine böhmische Herkunft bezogen und großes Wissen zu deren Kunsthandwerk erworben. Sehr sachkundig trat er im Bayrischen Fernsehen häufig bei „Kunst+Krempel“ auf. Wer ihn nach seinem Ableben noch kennen lernen möchte, dem sei seine in der BR-Mediathek noch auffindbare Erläuterung der von dem Hadamarer Designers Alexander Pfohl geschaffenen Vase „Frühlings Erwachen“ empfohlen (Link). Die Liebe zu seiner Frau, ebenfalls aus einer sudetendeutschen Familie stammend, hielt Harald Zumpe in der Stadt am Fuße des Westerwaldes und menschlich in der Balance. Ihr Verlust dürfte sich so schmerzhaft wie der, den die Stadtgesellschaft Hadamars erlitt, anfühlen.
Christoph Speier
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Harald_Zumpe_17042021_Schreiben an Stadt
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